Ankommen oder nicht ankommen am Jakobsweg #06

Wenn du den Jakobsweg nicht fertig machst, dann muss du wiederkommen, um ihn fertig zu gehen. Lies mehr…

6. Ankommen oder nicht ankommen – am Jakobsweg

_1070012

Im November hat schon um 18:00 die Dämmerung eingesetzt und es wurde schnell dunkel. Es war jeden Tag die große Herausforderung, ob ich das gesteckte Ziel erreichen würde vor Einbruch der Dunkelheit und dort auch ein Quartier offen habe. Zwischen den einzelnen Dörfern mit ausgewiesenen Quartieren waren oft viele einsame Kilometer gelegen – es war also ein echter Wettlauf gegen die Zeit. Tatsächlich ist es nach dem Marsch über den O Cebreiro DSC05973bei Schnee und Regen passiert, dass in drei hintereinander liegenden Dörfern die Pilgerquartiere nicht offen hatten. Gott sei Dank habe ich oben am O Cebreiro die zwei Italiener Vater Dario und Sohn Tommaso aus Mailand beim Mittagessen getroffen und wir gingen gemeinsam weiter. In der Dunkelheit war es mir sehr recht, nicht alleine durch die Gegend zu gehen. Wir fragten bei den Einheimischen nach, ob es nicht doch irgendwo eine Übernachtungsmöglichkeit gäbe, aber diese schickten uns immer von einem Dorf zum Nächsten. Wir gingen bis nach Tricastela, wo die Albergue de Tricastela offen hatte und erstaunlich viele Pilger dort waren. Wo die herkamen war uns gänzlich ein Rätsel, da wir kaum jemanden am Weg getroffen hatten.

DSC05947

Das tägliche gut ankommen war wirklich ein Thema für mich – im Sommer hätte man zur Not einfach immer weitergehen können, da es viel später dunkel wird. Oder man hätte bei trockenem Wetter draußen schlafen können. Das war aber bei den Temperaturen im November nicht möglich. So quälte ich mich mit meinen Schmerzen in den Beinen täglich so schnell voran, um ein sicheres Nachtquartier zu haben. Langsamer zu gehen und kürzere Strecken war einfach nicht möglich. Der Sog hat auch mich erfasst und ich wollte weiter, weiter… Oftmals habe ich mich aber gefragt, warum ich mir das antue. Der Weg durch die Meseta hat mir alles abverlangt. Es ist eine Landschaft, die durch das Nichts gekennzeichnet ist. Die Farben sind Varianten von beige, die Landschaft flach mit Blick auf steppenartige Vegetation bis zum Horizont. Keinerlei Reize oder Impulse für die Augen – man ist förmlich zur inneren Einkehr gezwungen. Und das für mehrere Tage. Sogar die wenigen und kleinen Dörfer aus Steinhäusern schienen vom Erdboden verschluckt. Bei Hontanas war das ein besonderes Erlebnis. Hontanas liegt in einer kleinen Senke und für den Pilger bis ganz kurz vor dem Dorf nicht erkennbar. Auf dem Weg gibt es nur den Blick bis zum Horizont und so weit das Auge reicht, kein einziges Dorf. Da Hontanas mein Ziel zur Nächtigung war, dachte ich schon, ich müsste am Feld  nächtigen, da in Horizontweite gegen abends kein Dorf sichtbar war. Bis dann endlich doch Hontanas in der Senke auftauchte. Aber davor verzweifelt man schon fast…

DSC05869

„Wer ein Problem mit der Meseta hat, der hat ein Problem mit sich selbst.“ Das sagte mir eine Pilgerin in einem dieser kurzen Gespräche, die man immer wieder führt. Sie war Spanierin, die selbst ein Pilgerquartier am Jakobsweg führte. Im November hatte sie es geschlossen, da zu wenige Pilger kämen und nutzte die Zeit, selbst zu pilgern. Sie meinte damit, dass der Gang durch die Meseta vieles an inneren Problemen hervorbringe und nicht die Leere der Meseta an sich das Problem sei. Ich wechselte mit dieser Weggefährtin vielleicht nur vier, fünf Sätze – aber diese Aussage ist mir bis jetzt in Erinnerung geblieben.

DSC05867

Wie gesagt, die Frage warum ich mir das antue kam immer wieder. Mal stärker, mal schwächer. Besonders auch wegen meiner immensen Schmerzen in den Beinen. In El Burgo Ranero traf ich auf eine ältere Dame aus Kanada, die beschlossen hatte, aufzuhören. Das war am 19. Tag und ich brauchte nicht lange nachzudenken und entschied mich, mit ihr in die nächste Stadt mit dem Zug zu fahren um heimzukehren. Sie erzählte von ihrem Leben als Hausfrau und dass sie nach dem die Kinder das Haus verlassen haben, aus dem Haus eine gut gehende Pension betrieben habe. Nun sei der Mann gestorben, sie habe sich ein neues Knie machen lassen und wollte unbedingt auf dem Jakobsweg gehen. Aber augenscheinlich habe sie dem neuen Knie zu viel zugemutet und wollte ebenfalls wegen der Schmerzen aufhören. Wir fuhren also mit dem Zug nach Leon DSC05904und quartieren uns in ein Hotel ein und checkten unsere Rückflugmöglichkeiten. Am Nachmittag, als ich alleine durch die Stadt bummelte, traf ich auf einen Pilger – ebenfalls aus Kanada. Wir führten eines dieser Kurzgespräche, in denen man sehr schnell auf das Wesentliche kommt. Ich erzählte von meiner Entscheidung, aufzuhören. Daraufhin meinte er, ich solle das auf keinen Fall machen. Er sei nun schon das dritte mal auf dem Jakobsweg und sagte, dass nun der schönste Teil – nämlich Galizien – käme. Und wenn ich jetzt heim fliege, dann garantiere er mir, dass ich dann das Gefühl bekommen werde, wiederkommen zu müssen um den Weg abzuschließen. Und wenn das so wäre, dann kann ich ihn doch gleich jetzt noch fertig machen. Einleuchtendes Argument dachte ich mir. Wir gingen nach den paar gewechselten Sätzen wieder auseinander und ich habe dann doch den Jakobsweg fortgesetzt. Ich trennte mich von meiner Zimmerkollegin und ging schweren Herzens am nächsten Tag weiter. Ich muss jedoch gestehen, dass ich dafür lange brauchte. Ich ging von einem Kaffeehaus zum nächsten in der Stadt am Weg bis ich endlich nach Stunden den Weg aus der Stadt genommen habe, um wieder meinen Weg aufzunehmen. Wieder riefen mir in gewohnter Weise wie so oft die Einheimischen den Spruch zu: „Buen camino!“ Das erleichterte es ungemein.

DSC05971

Warst du auch am Jakobsweg? Schreibe uns deine Erlebnisse!

Das könnte dich auch interessieren …

Schreibe einen Kommentar